SELTENE ERKRANKUNGEN
Niemann-pick Typ C Erkrankung
Niemann-Pick Typ C ist eine genetisch bedingte, neurodegenerative Erkrankung, die auf bestimmten Störungen des intrazellulären Transports von Lipiden wie Cholesterin in den Lysosomen beruht.
Geschichte der Erkrankung und ihrer medikamentösen Behandlung
Der deutsche Arzt Dr. Albert Niemann (23.02.1880–22.03.1921) verfasst die erste klare Beschreibung der Krankheit, die heute als Niemann-Pick-Krankheit (NPD) bezeichnet wird. Er erstellte einen klinischen Bericht über das Kleinkind „Irene D.“, das im Alter von 18 Monaten starb, nachdem es sein ganzes kurzes Leben lang krank gewesen war. Bei der Autopsie zeigten sich Leber, Milz und Lymphknoten vergrößert, gelb, fettig und größtenteils durch große, vakuolisierte Zellen ersetzt, die er aus gutem Grund mit denen der Gaucher-Krankheit vergleicht.
Der deutsche Pathologe Dr. Ludwig Pick (31.8.1868–03.02.1944) beginnt mit der Abfassung einer Reihe von Abhandlungen, in denen er die Pathologie der Erkrankung genau beschreibt. Er identifiziert die so genannten Niemann-Pick-Zellen, einen Zelltyp, der nur in der Milz und im Knochenmark von NPD-Patienten vorkommt. Niemann-Pick-Zellen sind ihrem Aussehen nach mit „Gaucher-Zellen“ vergleichbar, doch das Zytoplasma dieser Zellen erscheint von schaumiger Beschaffenheit.
Dr. Klenk weist nach, dass NPD durch eine pathologische Anreicherung von Sphingomyelin in den retikulären und histiozytischen Elementen der Leber, Milz und Lymphknoten gekennzeichnet ist.
C. Crocker und S. Farber veröffentlichen eine ausführliche Untersuchung von 18 NPD-Patienten und weisen nach, dass das Manifestationsalter sowie das klinische Krankheitsbild und auch die überhöhten Sphingomyelin-Konzentrationen sehr variabel sind.
Crocker und Farber schlagen eine Einteilung in 4 NPD-Untergruppen vor:
- Typ A (NPA) ist durch eine frühe und schwere neurologische Schädigung und eine massive Anreicherung von Sphingomyelin in den Bauchorganen und im Gehirn gekennzeichnet.
- Typ B (NPB) entspricht der chronischen Verlaufsform mit ausgeprägter viszeraler Schädigung ohne Beteiligung des Nervensystems.
- Typ C und Typ D (NPC, NPD) sind durch subakute bis mäßige neurologische und/oder neuroviszerale Schädigungen gekennzeichnet; die Bezeichnung „Typ D“ bezieht sich nur auf eine Patientengruppe aus Nova Scotia, andernfalls ist diese Form mit Typ C vergleichbar.
Dr. Roscoe Brady und seine Gruppe weisen ein ausgeprägtes Aktivitätsdefizit des Enzyms Sphingomyelinase bei Patienten mit NPD Typ A und B, aber nicht bei Typ C/D nach.
Die Beobachtung von Dr. Pentchev und seiner Mitarbeiter einer abnormalen intrazellulären Cholesterinhomöostase im Mausmutanten-Modell für NPC führt zu einer entsprechenden Untersuchung der Hautfibroblasten bei den Patienten. Dr. Pentchevs Gruppe belegt, dass die durch Lipoproteine niedriger Dichte (LDL) induzierte Kinetik der Cholesterinester-Bildung in NPC-Zellen drastisch verlangsamt ist und dass eine abnormale Menge nicht veresterten Cholesterins in lysosomalen Vesikeln gespeichert wird. Spätere Arbeiten von Dr. Pentchev und anderen Laboren führten zur Aufklärung des Umstands, dass überhöhte Sphingomyelin-Konzentrationen bei NPC-Patienten der Anreicherung von Cholesterin nachgeordnet sind. Die NPC-Erkrankung wird jetzt als eine separate Erkrankung betrachtet und neu als Erkrankung des intrazellulären Lipidtransports klassifiziert.
Entwicklung der ersten zuverlässigen diagnostischen NPC-Tests, die an kultivierten Hautfibroblasten durchgeführt werden können. Die klinische Heterogenität der Erkrankung Typ C wird bestätigt durch Erkennung der neonatalen Manifestationen, der Verlaufsform mit rasch tödlich verlaufendem neonatalem Ikterus und Verlaufsformen mit früh einsetzender neurologischer Beteiligung. Dieser Test, der die Reaktion von nicht verestertem Cholesterin mit fluoreszentem Filipin (Antibiotikum) beinhaltet, wird als Filipin-Test bezeichnet und wurde erstmals 4 Jahre zuvor vorgeschlagen.
Der Nachweis unterschiedlicher Schweregrade der Störung des intrazellulären Cholesterintransports bei NPC-Patienten legt nahe, dass möglicherweise mehrere Gene an der Krankheit beteiligt sind.
Das NPC1-Gen wird identifiziert, nachdem 1994 die Hypothese seiner Existenz aufgestellt wurde.
Ein zweites Gen, das ebenfalls für Transportproteine kodiert, wird identifiziert und als NPC2 bezeichnet. Seine Eigenschaften unterscheiden sich von denen des NPC1-Gens, aber beide Gene sind am selben Stoffwechselweg beteiligt.
Daten aus Tierstudien zeigen, dass das kleine Molekül Miglustat spezifische Eigenschaften besitzt, die seine breite Verteilung in den Geweben und sogar die Passage der Blut-Hirn-Schranke ermöglichen. Miglustat wirkt als kompetitiver Hemmstoff des Enzyms Glukosylzeramidsynthase und führt dadurch zu einer Reduktion der pathologischen intrazellulären Lipidspeicherung.
Nach den positiven Ergebnissen aus präklinischen Studien wird eine prospektive, randomisierte klinische Studie geplant und implementiert, um die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Verträglichkeit einer 12-monatigen Behandlung mit Miglustat bei jugendlichen (ab 12 Jahren) oder erwachsenen NPC-Patienten zu prüfen. Die Ergebnisse aus den klinischen Studien belegen bestimmte statistisch signifikante Besserungen bei Patienten unter Behandlung mit Miglustat im Vergleich zu den Patienten unter Standardbehandlung (Behandlungen, die auf die Linderung der Krankheitssymptome abzielen).
Langzeitdaten aus einer 12-monatigen Verlängerung der Anwendung von Miglustat bestätigen die Langzeit-Sicherheit und -Wirksamkeit der Miglustat-Therapie bei der Stabilisierung der neurologischen Symptome bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
Identifizierung der Funktion von NPC1- und NPC2-Proteinen bei der Elimination von Cholesterin aus den Lysosomen. Das aus LDL freigesetzte Cholesterin bindet zuerst an eine spezifische Bindungsstelle auf NPC2, wo es dann zu einer Bindungsstelle auf NPC1 transferiert wird. NPC-Zellen mit Mutationen in NPC1 und/oder NPC2 führen zu schwerwiegenden Störungen des intrazellulären Lipidtransports, vor allem des Transports von Cholesterin, Glykosphingolipiden und Sphingosin.
Das Schweizer Unternehmen Actelion Pharmaceuticals erhält von der EMA die Marktzulassung von Zavesca® (Miglustat 100 mg Kapseln) für die Behandlung progredienter neurologischer Symptome bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit Niemann-Pick Typ C Erkrankung.
Miglustat Dipharma wird von der EMA in Europa zugelassen.
Symptomatik
Das klinische Spektrum der Niemann-Pick Typ C Erkrankung reicht von einer rasch fortschreitenden neonatalen Form zu einer im Erwachsenenalter einsetzenden, langsam fortschreitenden neurodegenerativen Symptomatik. Die Patienten überleben in der Regel bis zum siebten Lebensjahrzehnt. Die früh einsetzende Verlaufsform der Erkrankung geht in der Regel auch mit cholestatischem Ikterus, Hepatosplenomegalie und/oder akutem Leberversagen einher. Diese Symptome können bei der spät einsetzenden Verlaufsform fehlen. Weitere häufige Symptome sind: gelastische Kataplexie, vertikale supranukleäre Blickparese (VSGP), Ataxie, Dystonie und Demenz.
Inzidenz
1 von 100.000 Menschen.
Behandlung
Obgleich es keine spezifische Behandlung für diese Erkrankung gibt, haben mehrere klinische Studien ergeben, dass Miglustat, eine Substratreduktionstherapie, eine Behandlungsoption darstellt. Bei manchen Patienten bewirkt das Arzneimittel den Stillstand oder eine Abschwächung der Krankheitsprogression.
Lad M et al. Pract Neurol. 2019 Oct;19(5):420-423.